Der Artikel ist am 29. Juni 2020 erstmals auf InTech.Swiss erschienen.
Die Finanzindustrie erlebte in der Vergangenheit immer wieder grosse Digitalisierungsschübe. Das Zepter hatte sie vielfach selbst in der Hand und war Treiberin dieser Veränderung. Manchmal war sie aber die Getriebene und musste schnell lernen, mit veränderten Situationen erfolgreich umzugehen.
Die Finanzindustrie blickt auf eine lange Vergangenheit der Digitalisierung zurück. Die Branche setzte früh auf den Einsatz von innovativen Technologien, auch wenn diese damals ganze Lagerhallen füllten. Genutzt wurden diese Grossrechner, um einfache und repetitive Aufgaben zu automatisieren. Dadurch prägten sie den Betriff «Elektronische Daten Verarbeitung», kurz EDV, welcher vermutlich einigen noch ein bekannter Betriff ist.
ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Baumann, Heinz / Com_Ex-BA01-0183-0006-0006 / CC BY-SA 4.0
Die 60er Jahre mit der Auto-Bank
Ende der 50er bzw. anfangs der 60er Jahre waren die Finanzindustrie sowie die SBB und die Swissair Pioniere (heute würde man wohl den Begriff Early Adopter verwenden) in der kommerziellen Nutzung der Grossrechner-Technologie. Deren Einsatz ermöglichte Dialoganwendungen über einen Bildschirm sowie Verarbeitungsprozesse zu automatisieren und damit eine zur damaligen Zeit unvergleichbare Menge an sich wiederholenden Aufgaben zu erledigen. Der Fokus der Anwendung lag damals bei den Backend-Prozessen und hatte keinen Einfluss darauf wie Finanzinstitute mit ihren Kunden interagierten.
ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Comet Photo AG (Zürich) / Com_L11-0151-0006 / CC BY-SA 4.0
Der Digitalisierungsschritt mit den Grossrechnern ermöglichte es im Jahr 1962 der Schweizerischen Kreditanstalt (SKA) an der St. Peterstrasse 17 in Zürich eine Auto-Bank zu eröffnen. Dort konnten Kunden direkt mit dem Auto an einem bedienten Bankschalter vorfahren. Ohne auszusteigen wurde Geld abgehoben und andere Bankgeschäfte getätigt. Nur wenige Jahre später wurde es möglich am klassischen Bankomaten, welcher durch die damalige Schweizerische Bankgesellschaft (SBG) am 1. November 1967 in der Schweiz eingeführt wurde, ohne Schaltermitarbeitende selbständig Geld abzuheben.
Die 90er Jahre und das Internet
Mitte der 90er Jahre brachte die zunehmende Verbreitung und Popularität des Internets die New Economy hervor. Diese bot neuartige Möglichkeiten Produkte und Dienstleistungen in einer bislang nicht dagewesenen Skalierung zu verkaufen. Vorher undenkbare oder nicht rentable Geschäftsmodelle wurden Dank der zunehmend globalen Vernetzung nun möglich.
ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Comet Photo AG (Zürich) / Com_LC1229-005-002 / CC BY-SA 4.0
Im Zentrum der New Economy stand der E-Commerce, dennoch hatte die Finanzindustrie die zugrundeliegende Technik als Early Adopter genutzt und zuerst Telebanking via Videotex (VTX) angeboten, bis die Credit Suisse im April 1997 (kurz darauf folgten SBG, UBS und die Zürcher Kantonalbank) das erste Online-Banking der Schweiz auf den Markt gebracht hat. Das Online-Banking ermöglichte es den Zahlungsverkehr und später auch den Börsenhandel am heimischen Computer selbständig abzuwickeln.
Der Startschuss der «New Economy» in den 2000er
Die New Economy fand, zumindest an der Börse, am 10. März 2000 mit dem Platzen der Internet Blase (Dot-Com Bubble Burst) ein jähes Erwachen. Seitens der Kunden blieb die Nachfrage nach Online-Angeboten jedoch ungebrochen und wurde in den Folgejahren, durch stetig zunehmende Internetbandbreite und wachsende Popularität des Internets, weiter beflügelt.
Der Startschuss für die «New Economy» der Finanzwelt, also FinTech oder auch Finance 2.0 genannt, wird oft mit der letzten Finanzkrise bzw. dem Fall von Lehman Brothers im Jahr 2008 in Verbindung gebracht. Der Auslöser der Krise blieb nicht nur den Personenkreisen aus der Finanzwelt vorbehalten, auch die breite Masse der Bevölkerung verstand, dass die Gier aus Teilen der Finanzindustrie gepaart mit vorangegangener Deregulation zu einer Spekulationsblase mit enormen Ausmassen führte. Als die Blase 2008 platzte, kollabierte beinahe das weltweite Finanzsystem. Diese geschichtsträchtige Finanzkrise hinterliess einen nachhaltigen faden Beigeschmack am traditionellen Bankgeschäft.
FinTech heute
Selbst wenn die Finanzkrise nicht der alleinige Grund für die Entstehung der FinTech-Bewegung war, so hat zumindest die Enttäuschung über das Verhalten der Finanzindustrie dem Thema FinTech einen enormen Auftrieb verliehen. In den letzten Jahren ist weltweit eine beträchtliche Menge an Kapital in FinTech-Unternehmen geflossen und die Branche hat dadurch ein enormes Wachstum erlebt. Ob die aktuelle Corona-Situation einen vergleichbaren oder gar noch radikaleren Einfluss auf FinTech haben wird, wird sich in naher Zukunft weisen. Offensichtlich ist heute bereits, dass wir durch COVID-19 einen enormen Zuwachs in der Nutzung der vorhandenen digitalen Angebote erleben. Dies aus dem einfachen Grund, weil sich nicht mehr die Frage stellt, ob jemand etwas digital beziehen bzw. nutzen möchte, sondern ob es ein Unternehmen anbieten kann. In Zeiten von Corona, ist der digitale Weg oft auch der einzige Weg die Kunden zu erreichen.
Unternehmen aus unterschiedlichen Industrien wurden aufgrund ihrer zögerlichen Haltung in den vergangenen Jahren gegenüber der Digitalisierung in Zeiten von Social Distancing eiskalt erwischt. Diejenigen, welche ihr Businessmodell überarbeitet oder zumindest den Zugang zu ihren Produkten auf digitale Vertriebswege angepasst haben, profitierten stark und wurden für ihre Weitsicht belohnt. FinTech sowie die Finanzindustrie selbst, hat durch diese Krise eine optimale Ausgangslage erhalten bestehende Investitionen auszubauen, um erfolgreich weitere Meilensteine in der Digitalisierung zu erreichen.
Post-Corona
Das Tempo der Veränderung wird Post-Corona zulegen und den Wandel weiter vorantreiben. Die Kunden sind bereit! Was es nun braucht sind noch zusätzliche attraktive Lösungen, welche die Kundenbedürfnisse direkt beim Entstehen und nicht erst beim angebotenen Produkt oder der Dienstleistung abholen.